Auszug aus dem Forschungsprojekt “Die Organisation eines Handwebkurses als einem sozialen Ort für Alle”*
Ein qualitatives Forschungsprojekt im Bereich der inklusiven Erwachsenenbildung
Von einzelnen Interessentinnen wurde bei der Anfrage für eine Teilnahme (Handwebkurs als Forschungsprojekt) darauf hingewiesen, dass sie keine Behinderung hätten. Eine Interessentin machte auf ihre zwei linken Hände aufmerksam oder eine andere auf ihre Ungeduld. Dabei handelt es sich bei diesen Beispielen nicht um Personen mit einer Behinderung im Sinne des ICF (Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit), sondern damit wurde von diesen Personen möglicherweise zum Ausdruck gebracht, dass sie sich auch als ein bisschen behindert – mit zwei linken Händen, ohne Geduld – bezüglich der Handarbeit betrachten. Vielleicht möchte damit gesagt werden, dass eine sichtbare Behinderung oder eine Beeinträchtigung nach ICF nicht entscheidend ist und wir alle unsere Grenzen haben. Gleichzeitig wird aber damit ein gewisse Unsicherheit in der Form einer Verleugnung – psychoanalytisch gesprochen – zum Ausdruck gebracht. Das heisst, die Realität der von Ausschluss bedrohten Menschen, gerät auf diese Weise aus dem Blickfeld oder bleibt in der Latenz. Natürlich stellt sich diesbezüglich die Frage: Was dann eine Behinderung ist? Wie überhaupt Behinderung thematisiert werden soll und wer darüber sprechen darf und wie? Dabei lassen sich u. a. eine starke Migräne einer Teilnehmerin, Nackenverspannung, Abbruch des Kurses aufgrund starker Rückenschmerzen als Emergenten bezüglich obiger Fragen bezeichnen, die im Zusammenhang mit gruppalen Abwehrhaltungen und damit einhergehenden Schuldgefühlen zu verstehen wären, die sich in der Gruppe manifestierten.
Vor dem Hintergrund einer nicht-essentialistischen Theorie der Behinderung lässt sich aber Behinderung als eine Erfahrung der (Nicht) Zugehörigkeit verstehen, die sich in unterschiedlichen Situationen zeigen kann – wie sich anhand untenstehender Beiträge der Teilnehmenden zeigen lässt – und deren Tragweite für das Individuum in Abhängigkeit von verschiedenen gesellschaftlichen Faktoren unterschiedlich ist.
…zwanzig Jahr habe ich bei der Poststelle im Dorf gearbeitet, sie wurde dann geschlossen (HT2)…
Ja und ich…am Anfang als ich begonnen habe zu arbeiten, war ich zuerst zwei Jahre in eine Haushaltsschule in Ilanz und dort habe ich anschliessend ungefähr ein halbes Jahr in einem Lebensmittelladen gearbeitet, aber das ist dann irgendwie nicht mehr gegangen, weil ich es halt psychisch immer etwas schlecht gehabt habe in dieser Zeit (HT1)…
Ich bin seit zwei Jahren pensioniert. Ich bin mit 62 in den Ruhestand geschickt worden …(lacht)(HT3)…
Es ist nicht nur einfach… unsere Zeit ist uh schnell, alle sind am springen und das spürst du fest, wenn du beginnst anders zu ticken und alles springt um dich herum, aber es gibt auch eine Kraft, wenn du das nicht musst (ST4)…
Ist auch ein Luxus, … ja, Luxus…darum sage ich, ich glaube, ich kenne ganz wenige, die bei der Pensionierung oder so, total ausgefüllt sind, also so gerade am Anfang und es ist auch für jeder anders, jeder hat eine andere Situation (ST3)…
*Forschungsprojekt im Zusammenhang mit dem Master in Systementwicklung Inklusion an der Evangelischen Hochschule in Darmstadt bei Anne-Dore Stein.